22.08.2024, Ammarnäs/Sapmi, beim Nachmittagskaffee:
…..oh schau mal, da läuft einer auf der Felge! (Marschblasen beenden schnell und für die meisten unerwartet Touren…und sie können schneller als gedacht töten, wenn sie zu einer Sepsis führen. Will keiner hören, ist aber leider so.)
Mit Mareike wieder mal in Ammarnäs am Wärdshus sitzend, hatten wir wieder mal die Chance 3 Tage ganz gemütlich das bunte Trekkingtreiben um uns rum zu beobachten und aus Guideausbildungsperspektive zu analysieren. Der eingangs erwähnte Felgenläufer war so nett, uns seine zerschundenen Füße ( nach nur 3 Tagen Tour!) zur Verfügung zu stellen….gruselig.
Von Füßen, Stiefeln und dem Leiden, das vermieden werden kann…Marschblasen und die Sepsis
Wir wollen mal einen näheren Blick drauf werfen…als alter Gebirgsjäger und Trekker sind für mich derlei Dinge nichts ungewöhnliches, doch fast immer vermeidbar. Ich muss bei sowas immer an unseren Feldwebelausbilder StFw J.K. an der Gebirgs- und Winterkampfschule der Gebirgstruppe in Mittenwald 1992 denken:
„Männer, an den Stiefeln werdet ihr sehen, ob der Typ vor euch was taugt oder nicht…wer seine Stiefel und Füße draussen nicht täglich pflegt, wird nie ein wirklich guter Gebirgsfeldwebel. Er kann weder für sich, noch für die Seinen sorgen. Irgendwann fällt er aus. Fußpflege ist direkte Kampfkrafterhaltung.“
Recht hatte er!
Gleiches gilt für Trekker! Der eingelaufene, reingehumpelte Kollege hat, wenn er es richtig macht und sich raten lässt, mindestens 4 Tage Pause vor sich, wenn er entzündete Marschblasen vermeiden will …aber er will partout morgen weiter. Meine ungefragte Christenpflicht habe ich erledigt und ihm gesagt, was zu sagen war..der Rest ist nun sein Bier. Und wird hoffentlich nicht das Bier der Fjällrettung. Zumal bei den tiefen Wolken im Notfall niemand kommen wird im Fjäll….Nachbrenner am späten Sachmittag: Er hat sich nach meinen klaren Worten besonnen und fährt mit dem Bus weiter, um sich ein paar Tage im Hostel zu kurieren.
Ein paar Fakten zur Sepsis vorweg
In vielen Artikeln wird die Sepsis gerne heruntergespielt….entweder weil es zu erschreckend klingt oder schlicht die Zahlen und Bedeutung nicht für ernst genug genommen werden. Oder eben nicht bekannt sind.
Also hilft da nur Klartext, um eben gut auf sich aufpassen zu können.
(Quellen: AOK, Verband der Ersatzkrankenkassen, ARD, Gesundheit….)
Eine Sepsis kann sogar innerhalb weniger Stunden zum Tod führen. Von den weltweit 1,5 Millionen Betroffenen verstirbt etwa jeder Dritte an den Folgen der Sepsis. Ein septischer Schock, die schwerste Verlaufsform, endet für mehr als jede zweite betroffene Person tödlich. Sepsis, umgangssprachlich auch Blutvergiftung genannt, ist eine hochgefährliche Erkrankung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sie 2017 als eine globale Bedrohung eingestuft. Mit rund 85.000 Todesfällen pro Jahr ist Sepsis inzwischen die dritthäufigste Todesursache in Deutschland. Ein entzündeter Zahn, eine verschleppte Lungen-/Harnwegs-/Nasennebenhöhlen-/ Gallenblasenentzündung, ein geplatzter Blinddarm, Magen-Darm-Erkrankungen, oder eine (kleine) Wunde an Finger oder Zehen genügen: Wenn Bakterien in den Blutkreislauf geraten, kann sich die lebensgefährliche Blutvergiftung binnen weniger Stunden entwickeln. Bei einer Sepsis gerät eine Entzündung sehr schnell völlig außer Kontrolle. Sie ergreift den ganzen Körper, schädigt die Organe und führt unbehandelt in kürzester Zeit zum Tode durch einen septischen Schock und multiples Organversagen. Wird die Sepsis nicht binnen allerkürzester Zeit erkannt, diagnostiziert und intensiv medizinisch behandelt, endet sie tödlich. Überlebende der schwer zu erkennende Infektion des ganzen Organismus leiden häufig unter sehr belastenden, vielfältigen Spätfolgen. Sie wird in drei Stufen eingeteilt:
- Stufe 1: Sepsis.
- Stufe 2: schwere Sepsis mit Organversagen
- Stufe 3: septischer Schock
Schnelligkeit zählt! Schon beim geringsten Verdacht auf Sepsis schon bei der Alarmierung darauf hinweisen! Patienten, die sofort bei beginn der Sepsis behandelt werden, überleben zu ca. 90 Prozent. Nach fünf Stunden kommen nur noch um die 60 Prozent, nach 36 Stunden nur mehr 20 % durch!
Wer abseits aller Wege, oder gar auf Weitwanderwegen bei Schlechtwetter auf sich gestellt mit sowas zu tun bekommt, der hat ein echtes Problem. VOR der Tour, auch auf dem so als leichte Wanderautobahn verlachten Kungsleden ist die Zeit, um sich um sich zu kümmern. Die Frage: „Was tue ich, wenn…? Wie helfe ich mir selber?“ ist keine Panikmache, sondern schlicht Selbstverantwortlichkeit Wer auf den Hütten auf diesem Weg die Stiefel mit Blick auf Marschblasen anschaut, sieht schlicht Dramen, sich nicht kümmern, Nachlässigkeit und schlicht Inkompetenz gegenüber sich selbst.
Typische/häufige Anzeichen einer Sepsis
- Fieber
- Schüttelfrost
- Wundentzündung mit geröteten Rändern, Verfärbung, Eiter
- Fieber, ggf. mit Schüttelfrost und starkem Frösteln
- Schneller Puls, Herzrasen.
- Kurzatmigkeit, schnelle Atmung.
- Feuchte Haut oder kalte Extremitäten
- Schwitzen oder Frieren
- Schmerzen und starkes Krankheitsgefühl
- starke Schmerzen
- extremes Krankheitsgefühl/ extreme Schwäche/Abgeschlagenheit
- schnell fortschreitende Verwirrtheit
- schnelle, flache Atmung
- fleckige /verfärbte Haut an Armen / Beinen
Wo entsteht draußen ggf. eine Sepsis?
- entzündete Marschblasen
- entzündete Brand-/Verbrühungsblasen
- entzündete (auch kleinste) Schnitte
- Trittwunden durch Steinchen, Scherben, Dornen
- Schürfwunden
- Bisse
- internistische Krankheiten mit Entzündungen
- Hiebe/Risse,
- Insektenstiche/Holzsplitter
- Ungeschütztes Rumwühlen in modrigem Erdreich
- fehlende Hygiene nach dem Clogang draußen
- ungenügende Lebensmittelhygiene
Das sind u.a. UNSERE möglichen Sepsiseinfalltore auf Tour!
Weitere Faktoren, die die Entstehung einer Sepsis begünstigen können
- fehlender Impfschutz
- dauerhafter Stress
- mangelhafte Ernährung
- Krankheit
- Erschöpfung
- scharfe Kälte auf Dauer
- Vorerkrankungen
- Dauererkrankungen
- Immunschwächen
- ……
Für uns muss es also heißen:
Sauberhalten und wissen wie man Sepsis vermeidet, erkennt und was zu tun ist. Punkt um Ende
Ein unterschätztes Thema…die Tourenapotheke
Wer raus geht, braucht eine vernünftige Tourenapotheke…wer das auf das Gewicht als alleinigen Faktor schaut, gefährdet sich selber. Im Fall der Fälle steht er blank da. Mit 3 Pflastern ist es nicht getan……:-). Auch Impfungen gegen Meningokokken, Pneumokokken, Grippe, Covid 19 können schützen, indem sie vor der Ursprungsinfektion schützen, die sich dann zu einer Sepsis ausweiten kann. Direkte Impfungen gegen Sepsis gibt es nicht.
Gut bestückt für viele Fälle.
Unsachgemäße Versorgung von Wunden und Marschblasen
Werden diese unsachgemäß „behandelt“ oder schlicht ignoriert, schafft man sich vollkommen leichtfertig und unnütz Probleme, ggf. eben auch mal lebensgefährliche Probleme. Gut zu wissen ist aber, dass sich an den Wegrändern nicht die Sepsistoten stapeln, weil gesunde Menschen meist einiges an Reserven in Sachen Immunsystem etc. mitbringen. Manche haben angeblich sogar eine Tourenapotheke statt eines Handys als alleiniges „Sicherheitsfeature“ dabei…und andere machen sich vor langen Touren nen Kopf, wie sie sich selber oder anderen helfen können und üben dies auch mal.
Es gilt i.d.R:
Marschblasen, Brandblasen, Abszesse werden i.d.R. von uns unterwegs weder geöffnet, noch „operiert“! Sie werden steril gehalten, oberflächlich gesäubert (ohne Wasserspülung) und locker luftig steril verbunden.
Dann w.m. fachkundig vom Arzt versorgt. Wer sich selber versorgen muss, muss wissen auf was er zu achten hat…bevor er es anwenden muss!
Offene Blasen
Bei Marschblasen, die schon offen sind, ggf. die alte Haut abschneiden, sauber halten und desinfizieren, steril bedecken. Keine weitere Marschleistung bis neue Haut drauf ist…d.h. Reservezeit ist ein wichtiger Teil der Selbstversorgung im Fall der Fälle! Oft der Wichtigste!
Der Fuß…ein Hochleistungsarbeiter!
Auf den schmalen Teilen, genannt „Füße“ ruht alles Gewicht…das des Körpers, der Ausrüstung und der vielen Schläge und Belastungen bei jedem Schritt. Man bedenke:
Die Füße eines Trekkers werden unausweichlich tausendfach am Tag, bei jedem Schritt im unebenen Gelände malträtiert:
- gewalkt
- verdreht
- gedehnt
- gequetscht
- gepresst
- gerieben
- erhitzt
- abgekühlt
- genässt
- gescheuert
- gedrückt
Um so verwunderlicher ist es immer wieder, wie wenig den Füßen gezielt Gutes getan oder das Schuhwerk gepflegt wird. Eines ist glasklar….bei dem beobachtbaren Zustand der meisten Stiefel, dem fehlenden Pflegeverhalten nach den Tourentagen und der Betrachtung vieler Läufer nach Ankunft will ich bei den meisten Trekkern hier vor Ort kein Fuß sein …ganz gewiss nicht:-)! Für kein Geld der Welt! Daher ist dies seit jeher in den Kursen der GAE wichtiges Ausbildungsthema.
Ein unterschätztes Thema…die Stiefelpflege
Gut gepflegte Stiefel erleichtern das Leben und schützen die Füße.
Gut geschmiert! Sich um sich kümmern ist die Devise!
Schlecht/gar nicht gepflegte Stiefel
So nicht…! Das ist schlicht grob fahrlässig sich gegenüber.
In eigener Sache…Sepsis knapp vermieden!
Am 10.08. ploppte bei mir selber eine sehr schwere Zahnentzündung an einer 3er-Brücke auf. Da ich an dem Tag fast 40 Fieber und das auf die vermeintliche Sommergrippe der Vortage zurückgeführt hatte, habe ich das nicht in Zusammenhang gesehen. Da ich zu malade und zu verwirrt war, war um mich in dem Zustand zum Notdienst zu schleppen, habe ich die bereits für die Tour vorbereitete Tourenapotheke genommen und mich mit diesen Bordmitteln, sowie Ingwer-Zitronenshot, Kamillegurgeln, Nelken zerbeissen, Salzspülung, Vitaminshots für schwer Infektionsgeschädigte/Krebspatienten aus der Apotheke etc. über die Tage bis Montag gerettet. Die brutale Entzündung ging etwas zurück, wie auch das Fieber. Ich konnte wieder klar denken und Entscheidungen treffen.
Beim Zahnarzt am 12.08 stellte sich raus, dass ich wahrscheinlich eine seit Monaten schwelende tiefe Zahn-/Kieferentzündung hatte, die ich schlicht vor lauter Familien- und Arbeitsstress nicht realisiert hatte. An der Zahnwurzel war im Röntgenbild eine Riesenzyste und eine komplett abgebaute Knochenmasse rund um die Wurzel nebst schwerer Vereiterung erkennbar. Das alles trotz täglicher gründlicher Putzerei, Gurgeln und Zahnzwischen-reinigiung. Die Brücke musste am kommenden Tag zerschnitten und der Zahn sofort gezogen werden, danach säubern, spülen und desinfizieren…die Abfahrt wurde um 5 Tage verschoben und so kaue ich einseitig nun auf der Felge. 2 fette Backenzähne fehlen. Eine heftige Antibiotikabehandlung, vitaminreich essen, viel schlafen, ausreichend trinken, Hitze und Stress meiden haben mir am Ende das Go für die Reise ermöglicht.
Wie der Doc sagte, das war wohl recht knapp…das hätte dieses mal auch daneben gehen können. Die Sepsis stand wohl bereits in den Startlöchern. Aber selber gut reagiert und verdammt viel Glück gehabt. Wieder mal. Nicht umsonst sagten die Römer früher:
„Der Zahnschmerz ist der kleine Bruder des Todes“.
Nicht auszudenken, wenn das Mistding irgendwo in den Bergen losgelegt hätte! Es hat mich nachdenklich gemacht und ich habe zum Thema recherchiert. Und nach 45 Jahren habe ich wieder mal was dazu gelernt…künftig werde ich unterwegs noch mehr auf die Wundhygiene achten! Und ein lebensaltes Gebiss braucht eben öfter vor touren nen gründlichen Check!
Zurück zu den Blasen und deren Vermeidung
Abtapen leicht gemacht
Blasen sind eine Reaktion des Körpers auf vermehrtes Erhitzen der Haut durch Scheuern. Flüssigkeit wird zur Kühlung an die Stellen geführt und sammelt sich dort…die Blase entsteht. Dabei hebt sich die Haut vom Untergewebe meist komplett ab…d.h. das leicht infizierbare rohe Fleisch liegt dann offen, wenn die Haut weg ist! Weswegen man sie i.d.R. auch nicht öffnet…..
Das Prinzip“Second Scin“ ist ein bewährtes Prinzip, um Reibungshitze gar nicht erst so tief in die Haut eindringen zu lassen!
Wichtig ist dabei:
- Präventiver Dachziegelverband aus Leukotape
- abgerundete Ecken
- keine Falten
- 2-3 Schichten auf der Druckstelle
- sauber anstreichen
Blasen können meist vermieden werden – allgemeine Tips:
- passende, wirklich gut eingelaufene, gepflegte Schuhe/Stiefel
- gute, richtig sitzende Socken
- jährlich für lange Touren neue Socken nutzen
- jährlich neue Einlegesohlen nutzen (2.Paar dabei haben!)
- korrekte Stiefelschnürung ohne „Rumschlabbern“ des Stiefels
- passende und intakte Schuheinlagen/Fußbetten nutzen
- Stiefel trocken halten oder wieder trocknen
- kleine Steinchen und Fremdköper umgehend aus dem Stiefel holen
- Füße sauber und trocken halten
- ggf. vorher, spätestens bei Aufkommen der ersten Druckstellen SOFORT mit Dachziegelverband (Wirkungsprinzip: Second scin!) schützen
- ggf. über den Tag das Inlay und die Socken wechseln, Füße trocken halten/trocken legen in Pausen
- abends die Füße säubern und ggf. sachte eincremen(zu viel weicht die Haut auf!)
- keine Fußbäder über den Tag, z.B. im Bach…das weicht die Haut auf.
- Hirschtalg schon Wochen vor der Tour mäßig verwenden
- Übungsmärsche machen um die Füße zu gewöhnen
- Rucksack richtig einstellen, um unrundes Laufen zu vermeiden (auch das kann Blasen geben!)
4 einfache Grundsätze zur Vermeidung von Blasen
- Morgens Füße und Stiefel checken, Socken und Material auf den Tag vorbereiten, präventiv tapen
- Unterwegs Füße pflegen, Druckstellen rechtzeitig behandeln, trockenlegen und trocken halten
- Abends Füße prüfen, Material prüfen, Schäden feststellen
- Abends und an Ruhetagen den Füßen gezielt Gutes tun..leichte Schuhe im Camp, frische Socken, Füße waschen ggf. cremen
UND HIER NOCH MAL FÜR ALLE, DIE GLAUBEN, DAS DAS HIER ÜBERTRIEBEN IST….:-)
Sepsis durch Marschblase……..weiterlesen
Viel Spaß und stete gesunde Rückkehr unterwegs!